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Bootydance mit der Königin

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Bounce ist energetischer, afroamerikanischer Rap mit hinternbetonten Tänzen aus New Orleans, der Anfang der 1990er Jahre in den Arbeitervierteln entstanden ist. Eine besonders schillernde Gestalt der Bounce-Szene ist Big Freedia Queen Diva. Ein Blick hinter die Kulissen – mit Fotos von Karin Scheidegger.

Big Freedia bereit für ihren Auftritt im Berner Club Bonsoir (Foto: Karin Scheidegger)

Der schmuddelige Nachtclub Caesar’s im Süden von New Orleans an einem Montagabend: auf der Bühne steht ein DJ und legt hyperaktive Beats auf. Am Mikro zappelt Freddie Ross alias Big Freedia Queen Diva. Gnadenlos sexy ist sie mit ihren punkig gestylten Haaren, dem pinken Glitzerblazer und den langen Ohrringen. Im ganzen Raum: fast nur Frauen in unverschämt knappen Hosen. Im Kreis shaken sie ihren Hintern um die Wette, mit den Händen auf dem Boden, während sie orgiastisch über- und untereinander wippen, im Ausfallschritt, während sie Kopfstand machen. Big Freedia (gesprochen Fri-da) ist die Schiedsrichterin dieser anzüglichen Sportart und heizt mit Worten ein wie: «Azz everywhere, azz everywhere», «Step into the ring» oder «Make yo’ booty go!» Big Freedia hält die Interaktion mit dem Publikum für den Treibstoff der rauschhaften Show: «Wenn das Publikum meine Songs genau kennt und prompt meine Calls erwidert, kann sich das Konzert auf einen unglaublichen Energielevel hochschaukeln.»

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Bounce greift als aktueller Teil der lokalen Identität von New Orleans verschiedene Musiktraditionen der Stadt auf – so könnte beispielsweise der Call-and-Response-Stil auf die Gesänge der Mardi Gras Indians zurückgehen (siehe auch Norient-Artikel Begrabt das Kriegsbeil von Georg Modestin). Die Lyrics wiederholen eingängige Satzfetzen, die sich oft unterhalb der Gürtellinie bewegen und bis zuletzt nur von eingefleischten New-Orleans-Kennern zu verstehen sind. Als immerpräsentes Metronom setzten sich vor allem die Bässe im Ohr und in jeder Muskelfaser fest. Die Zutaten der Partydroge Bounce sind überschaubar, wie Freedia erklärt: «Meistens samplen wir den Triggaman-Beat aus dem Song Drag Rap der Showboys oder den Brown Beat aus Derek B.s Rock The Beat, variieren einige Akkorde, verdoppeln und beschleunigen sie mit Beats aus dem Drumcomputer.»

Wahlverwandtschaften und Wendepunkte

Freddie Ross ist eigentlich gelernter Innenarchitekt. Dass er das Zeug zum Entertainer hat, entdeckte er schon in der High-School: als Cheerleader und Dirigent des Schulchores. 1997 stand er dann mit der Pionierin des queeren Bounce Katey Red – sie wohnte nur ein paar Blocks entfernt – auf den Bühnen der Nachtclubs und Sportbars von New Orleans. Er tanzte für sie, schmetterte Background-Vocals und wurde als ihr Protegé in die wilde Bounce-Welt eingeführt. Freddie suchte sich aus dem in New Orleans traditionsreichen Repertoire an Nickname-Attributen das auf seine Körpergröße referierende «big» heraus und hatte als «Big Freedia Queen Diva» bald ihre eigenen Auftritte. So wie Katey Red ihn einst adoptierte, versteht sich Freedia als die ›mother‹ des jüngeren Pop-Bouncers Sissy Nobby. Als Big Freedia hat Ross mittlerweile zwei Alben veröffentlicht, wird von ihren eigenen Bootydancers unterstützt, bricht mit dem schrillen Video «Y’all Get Back Now» (2011 nominiert für den MTV-Award in der Kategorie «Too Much Ass For TV») auf YouTube bald die Millionen-Click-Grenze und gibt ihre Bounce-Tanzkurse und Konzerte auch auf der anderen Seite des großen Teichs – so geschehen etwa diesen Januar am 4. Norient Musikfilm Festival in Bern (Rückblick hier).

An den Festivaltagen zeigte sich Big Freedia von zwei Seiten: Onstage ist sie die zügellose Rampensau. Backstage erinnert der 32-Jährige eher an einen kleinen Jungen, dessen Laune zwischen introvertiert und albern wechselt. Wenn er redet, ruht er in sich. Mit langsamen Gesten erzählt er, wie ihm seine krebskranke Mutter vor seinen Shows die Haare macht und dass sie die Quelle seiner ganze Energie sei. Freedia spricht auch vom Hurricane Katrina 2005, der für ihn – wie für die gesamte Musikszene von New Orleans – ein Wendepunkt war (siehe auch Norient-Artikel New Orleans’ musikalische Wiedergeburt von Jonathan Fischer): «Nach Katrina war die Bounce-Szene auf der ganzen Welt zerstreut. Das war für mich ein Türöffner, um aus der Stadt heraus zu kommen und zu merken, dass Bounce auch woanders funktioniert.» Freedia ging ausgerechnet ins konservative Texas ins Exil und brachte den Leuten dort die Booty-Tänze bei. Während New Orleans noch brach lag, rief der Manager vom Caesar’s an: er wollte seinen Club wieder eröffnen und brauche dafür Freedias Anziehungskraft. So entstanden die FEMA Fridays (FEMA = Federal Emergency Management Agency), sie gaben Bounce neuen Schwung und machten Freddie Ross zum stadtbekannten bunten Hund: «Die Leute hatten Geld von den Katrina-Schecks und waren hungrig nach Bounce, den sie lange nicht mehr gehört hatten. Die Lebensfreude im Club war unglaublich. Wenn ich nur ein Wort sagte, kam eine Energie zu mir zurück, dass ich dachte, dem Haus fliegt das Dach weg.»

Big Freedia-Clubnacht im Bonsoir am 4. Norient Musikfilm Festival (Foto: Karin Scheidegger)


Renee Moncada am 4. Norient Musikfilm Festival 2013 (Foto: Karin Scheidegger)

Viel Lärm um Sissy Bounce

Renee Moncada, Freddies Managerin und Regisseurin eines Big-Freedia-Porträts in Spielfilmlänge (Release Ende 2013), spricht vom Zauber dieser Shows: «Sobald er die Bühne betrat, vergaßen die Leute ihre Probleme, ihren Alltag.» Dennoch ist Bounce nicht nur Eskapismus. Auf einem persönlichen Level werden afroamerikanische Identitäten sowie die eigene Geschichte und Gegenwart in New Orleans verhandelt – und irgendwie auch immer Homosexualität. Big Freedia, Katey Red und Sissy Nobby geht es aber nicht darum, innerhalb des Bounce ein queeres Subgenre aufbauen oder aktiv gegen Geschlechtsstereotypen zu kämpfen. Vielleicht bleiben sie deshalb sowohl bei der aktuellen Welle der Gay-Rapper Le1f, Mykki Blanco und Zebra Katz als auch beim amerikanischen Homohop-Movement der letzten Dekade außen vor. (siehe Norient-Artikel Gayngster-Rap von Christian Werthschulte).

Bounce ist aber auch aus anderen Gründen eine Sache für sich: Seit 2010 wird Big Freedia nach New York, in andere Städte der USA und nach Europa eingeladen. Dort trainiert sie in alternativen Szeneclubs die Hinternmuskulatur der weißen Mittelschicht. Bounce, der in New Orleans fest in den urbanen Alltag eingebunden ist, wird damit zur importierten «Realness» aus der Hurricane-Stadt und verkörpert das vermeintlich exotische Flair der ‹dirty› Südstaaten. Mit diesem Außenblick bekommt auch der homosexuelle Aspekt mehr Aufmerksamkeit und ein vermarktungsfreundliches Label. (Siehe Artikel New Orleans Gender-Bending Rap von Jonathan Dee in der New York Times von 2010).

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Der Begriff «Sissy Bounce» wurde vor allem von der Musikjournalistin und Bounce-Expertin Alison Fensterstock geprägt. [1] Big Freedia kann sich damit nicht identifizieren: «Das Wort ›Sissy Bounce‹ gibt es nicht. Es wurde einmal irgendwo als Titel für ein Interview verwendet und hat sich seit dem auf seltsame Weise reproduziert.» Es ist nicht in seinem Sinne, dass die sexuelle Identität des Rappers und dessen Inszenierung zum einzigen Merkmal für einen Genrenamen wird: «Alles ist Bounce. Wir machen da keinen Unterschied, weder bei der Musik, noch bei den Performern, auch nicht beim Publikum. Ich bin vielleicht schwul, aber es gibt genauso Hetero-Rapper und wir treten auch gemeinsam auf. Bounce ist ein großes Becken, wo alles hineinpasst.»

New Orleans: ein tolerantes Pflaster?

Fensterstock bettet queeren Bounce in eine spezifische New-Orleans-Mentalität ein. Offene Homosexualität und Crossdressing hätten dort schon seit den 1940er Jahren Tradition. Von Travestie-Clubs über Drag-Kostümbälle an Halloween bis zum Karneval: in New Orleans wurde und wird mit Geschlechtsidentitäten- und performances locker umgegangen. Im armen Viertel Gretna auf der Südseite des Mississippi stand diesem Glamour jedoch eine harte Realität gegenüber. Für Ross war es nicht einfach, sich als homosexueller Musiker – in der lokalen Sprache «Punk» oder «Sissy» genannt – zu etablieren: «Als ich am Anfang mit Katey Red in meinem Stadtviertel auftrat, war das ziemlich provokativ. Über die Jahre hat sich der Umgang verändert, mit unserer dauerhaften Präsenz und unserer Power haben wir den Weg für mehr Offenheit geebnet.»

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Diese Offenheit scheint sich indes nicht durchweg an die jüngere Bounce-Generation zu vererben. Mr. Ghetto, mit dem Freedia gelegentlich auftritt, versprüht eher aggressives Testosteron als Toleranz und macht auch vor homophonen Äußerungen nicht Halt. Seine Bootydancers wirken wie Sexobjekte. Wenn hingegen Big Freedia als homosexueller Rapper auf der Bühne steht, läuft im Club eine komplexe Dynamik ab, die explizitem Begehren, falschen Blicken und Hintergedanken gegensteuert. Die Tänze der Frauen sind ganz klar auf Big Freedia gerichtet und die Queen Diva spricht während der Show mütterlich von «my girlz». Und sie stoppt die Musik, wenn einer der (wenigen) Männer im Publikum übergriffig wird und mahnt zum Abstand-Halten ins Mikro: «Give my dancers 50 feet». Von der Bühne aus schliesst sie einen Solidaritätspakt mit dem weiblichen Publikum und kontrolliert die tanzende Menge.

Trotz dieses geschützten Raums lässt sich die Gretchenfrage aber nicht völlig abtun: Ist Bootydance nun sexistisch oder einfach nur sportlich? Renee Moncada versteht den Tanzexzess als punkigen Befreiungsakt: «Erstens: Jede und jeder hat einen Arsch. Zweitens strahlen die Frauen rund um Big Freedia sexuelle Selbstbestimmung aus». Freedia ist das Sexismus-Thema leid. Während sie nach dem Tanzkurz in Bern ihre «booty-certifited»-Hot-Pants verkauft, predigt sie gegen die allgemeine Verklemmtheit: «Hey, es ist doch einfach nur ein Tanz, ein wenig Arschwackeln! Die Leute sollen tun, wonach sie sich fühlen. Alle sollen den Club mit einem Lächeln verlassen.»

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[1] Das Wort «Sissy» (abgeleitet von «Sister») ist in diesem Kontext eine positive Umdeutung der pejorativen Bezeichnung für einen Mann, der nach traditionellem Rollenverständnis als «schwach» gilt.
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Albums:
Queen Diva, ohne Label, 2003
Big Freedia Hitz Vol. 1, Big Freedia Records, 2010 (self-released)
Scion A/V Presents Big Freedia, Scion A/VV, 2011 (Re-release von Big Freedia Hitz Vol. 1)
The Idol, Scion Audio/Visual, 2013 (Release im Sommer)

Dieser Artikel ist im April 2013 im Magazin Skug #94 erschienen.

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Weiterlesen auf Norient:
Sissy Bounce Rap from New Orleans von Alison Fensterstock
Bounce-Rap in der Music-Box von Thomas Burkhalter und Melissa Stryker
Dossier Queering the Norient
Podcast: Big Freedia und Sissy Bounce von Theresa Beyer [6']


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